Jump to main content

Geschrieben von Jürgen Schwörer,

Nahbesprechungseffekt – was ist das und warum tritt er auf?

Nahbesprechungseffekt – was ist das und warum tritt er auf?

Wer mit Mikrofonen arbeitet – also sowohl „Tonis“ als auch Musiker – sollte den Nahbesprechungseffekt (engl. proximity effect) beachten. Dieser Effekt ist mitunter ausschlaggebend für die Positionierung des Mikrofons und den daraus resultierenden Klang.

Frequenzgang Beta 58A
Frequenzgang Beta 58A

Aber was ist überhaupt der Nahbesprechungseffekt?

Je näher ein Mikrofon an die Schallquelle heranrückt, desto stärker werden die tiefen Frequenzen angehoben. Dies sieht man sehr schön, wenn man einen Blick in die technischen Daten des Beta 58A schaut. Der Frequenzgang ist bei unterschiedlichen Entfernungen angegeben. Bei einem Abstand von 3 mm ist eine extreme Anhebung der Frequenzen um 200 Hz zu sehen.

Tritt der Nahbesprechungseffekt bei allen Mikrofonen auf?

Nein, nur bei Druckgradienten-Mikrofonen – also bei gerichteten Mikrofonen wie Niere, Superniere, Hyperniere, Acht usw. Je stärker die Richtwirkung desto stärker ist auch der Nahbesprechungseffekt. Beim Beta 58A ist er durch die Supernierencharakteristik also stärker ausgeprägt als beim SM58, welches eine Nierencharakteristik hat.

Bei der Verwendung von Mikrofonen mit Kugelcharakteristik (wie z.B. das Beta 53 Headset) tritt dieser Effekt nicht auf.

Wie wirkt sich das in der Praxis aus?

Klassisches Beispiel ist die Platzierung des Mikrofons vor dem Gitarren Speaker. Je näher das Mikrofon an den Speaker heran gebracht wird, desto wärmer wird der Gitarren-Sound. Aber auch Sänger können – oder besser sollen – mit diesem Effekt „arbeiten“. Wird das Mikrofon mit Lippenkontakt besungen wird eine warme Stimme erzielt. Das eignet sich für balladeske Stücke. Soll die Stimme schriller, aggressiver klingen wird das Mikrofon weiter entfernt gehalten.

Und warum ist das überhaupt so?

Hier muss etwas tiefer in in die Technik eingetaucht werden. Zuerst sehen wir uns den Aufbau eines „Druckgradienten-Mikrofons“ an. Wie in der Abbildung zu sehen ist, kann bei diesen Modellen der Schall direkt von vorne auf die Membran auftreffen aber auch über so genannte Laufzeitglieder von hinten auf die Membran. Wichtig ist der Wegunterschied – also die Länge der Laufzeitglieder. Ist diese Länge eine halbe Wellenlänge bedeutet dies, dass die Welle mit dem positiven Druck auf die Membran von außen auftritt; eine halbe Wellenlänge später allerdings mit negativem Druck. Von außen wird die Membran nach innen gedrückt, von Innen wird die Membran nach innen gezogen. Dadurch wird eine maximale Auslenkung der Membran erzielt, wodurch auch das Ausgangssignal den maximalen Wert erreicht.

Kommt der Schall von hinten auf das Mikrofon, so sind die Wege des Schalls in etwa gleich lang. Es tritt also keine Laufzeitverschiebung auf und damit kommen beiden Wellen mit dem positiven Druck an der Membran an. Von außen wird die Membran folglich nach innen gedrückt,  von innen wird nach außen gedrückt – die Drücke arbeiten also gegeneinander und die Membran bleibt in Ruhe.

Druckgradientenempfänger: Schall von vorne und Schall von hinten
Druckgradientenempfänger: Schall von vorne und Schall von hinten

Im nächsten Schritt müssen wir uns nun die Schallausbreitung ansehen. Im einfachsten Fall kann man die Schallausbreitung mit den Wellenbildungen bei einem Steinwurf ins Wasser verdeutlichen. Nahe der Quelle sind die Wellenfronten stark gekrümmt. Je weiter entfernt desto gerader werden die Fronten. Bei der Wellenausbreitung spricht man von Nahfeld, wenn die Wellenfronten stark gekrümmt sind und von Fernfeld, wenn die Wellenfronten annähernd parallel sind.

Das Nah- und Fernfeld bei einer Wellenausbreitung
Das Nah- und Fernfeld bei einer Wellenausbreitung

Dieser Sachverhalt ist frequenzabhängig. Über den Daumen gepeilt ist das Nahfeld ein bis zwei Wellenlängen groß und das Fernfeld beginnt ab 10 Wellenlängen. Somit beträgt die Nahfeld-Ausdehnung  eines 100 Hz Tons  einige Meter und das Fernfeld beginnt ab etwa 30 m Abstand zur Schallquelle. Diese Abstände schrumpfen bei einem 10 kHz Ton auf wenige cm die das Nahfeld einnimmt und das Fernfeld beginnt bereits ab etwa 30 cm. Je tiefer die Frequenz desto größer ist das Nahfeld.

Nun sehen wir uns an, wie sich das Druckgradienten-Mikrofon im Nah- bzw. Fernfeld verhält. Im Fernfeld – also mit (annähernd) parallelen Wellenfronten – ergibt sich aufgrund der Laufzeitgleiter ein definierter Wegunterschied. Dieser Unterschied ist maßgeblich für den Druckunterschied – und damit ausschlaggebend für den Ausgangspegel. Wird das Mikrofon nun einem Nahfeld ausgesetzt, so vergrößert sich der Wegunterschied, damit steigt auch der Druckunterschied und es ergibt sich ein höheres Ausgangssignal. Ein Druckgradienten-Mikrofon ist also in einem Nahfeld lauter als in einem Fernfeld. Und da tiefe Frequenzen ein stärker ausgeprägtes Nahfeld haben, ergibt sich die überproportionale Anhebung der tiefen Frequenzen je näher das Mikrofon der Schallquelle angenähert wird.

Druckgradienmikrofon im Nah- und Fernfeld
Druckgradienmikrofon im Nah- und Fernfeld

Über den Autor

Jürgen Schwörer

Jürgen ist seit 2000 Applications-Engineer bei Shure und damit Ansprechpartner für alle technischen Fragen insbesondere über die Anwendung von Mikrofonen, Funkmikrofonen und In-Ear-Monitoring – aber auch Mischer, Konferenzanlagen und Phono-Nadeln. Durch sein Elektrotechnik Studium „Bild- und Tontechnik“ an der Universität Karlsruhe erlangte Jürgen die theoretischen Grundlagen. Jürgen ist aber selbst Musiker (Klavier/Keyboard, Gitarre, Cajon) und kennt die Branche auch von der aktiven Seite auf der Bühne.

Ähnliche Inhalte